Drei Sichtweisen, ob Passau eine offene Stadt ist

Jeder fünfte Passauer ist Ausländer – 10 500 haben keinen deutschen Pass

Passau hat 52 000 Einwohner, rund ein Fünftel davon sind in der Stadt gemeldete Ausländer: Deren Zahl gibt das Rathaus mit derzeit 10 500 an. Scheinbar ist das ein durchaus hoher Anteil an der Bevölkerung – stimmt aber nicht unbedingt. Denn im Bundesdurchschnitt liegt der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund höher, nämlich bei einem Viertel (26 Prozent), dabei sind freilich Großstädte mit hohem Ausländeranteil wie München und Berlin eingerechnet. Auf Bitte der PNP hat die Stadt weiter aufgegliedert:

In den ausländischen Passauern sind 5700 Bürger der EU/ des europäischen Wirtschaftsraums. 4800 sind Drittstaatsangehörige, darin inkludiert 690 Studenten, 620 Beschäftigte, 1050 Personen mit Aufenthaltstitel aufgrund völkerrechtlicher oder politischer Gründe, 100 Asylbewerber und 150 abgelehnte Asylbewerber. Die Hitliste der ausländischen Passauer nach Nationalität sieht so aus – bei den Staatsangehörigen des europäischen Auslands: 1140 aus Österreich, 930 aus Rumänien, 820 aus Kroatien, 750 aus Ungarn, 400 aus Italien. Bei den Staatsangehörigen aus den Drittstaaten: 690 aus Syrien, 307 aus dem Kosovo, 250 aus Afghanistan, 230 aus Indien, 210 aus dem Irak und 140 aus Nigeria.

Was bedeuten diese Zahlen und natürlich die dahinterstehenden Menschen für Passau? Wir haben einige Sichtweisen aus verschiedenen Blickwinkeln zusammengetragen. Für die Wirtschaft in der Stadt Passau „haben ausländische Mitbürger eine große Bedeutung“, sagt IHK Hauptgeschäftsführer Alexander Schreiner. Zwölf Prozent aller Beschäftigten haben Migrationshintergrund, der Großteil davon mit europäischen Wurzeln, weniger stark vertreten Asylherkunftsländer wie Syrien oder Afghanistan. Ihre Arbeitsplätze haben sie in allen Branchen von Industrie und Bau über Tourismus, Handel bis zu Dienstleistungsbetrieben. Braucht Passau die ausländischen Beschäftigten? „Diese Fachkräfte werden dringend benötigt“, betont Schreiner ausdrücklich. Zudem hätten die Grenzschließungen am Anfang der Corona-Krise schmerzlich bewusst gemacht, wie wichtig offene Grenzen auch in diesem Zusammenhang sind.

Gerade als Kräfte in der Gastronomie hätte Kuwi-Netzwerker Dr. Fritz Audebert neben Ungarn, die sich auch aus der gemeinsamen Geschichte heraus in Passau wohl fühlen, vor allem Tschechen in der Hitliste der ausländischen Passauer erwartet. Sie tauchen aber nicht auf. Die Erklärung ist wohl, dass viele Tschechen pendeln und deshalb nicht mit Wohnsitz gemeldet sind. Bemerkenswert ist die hohe Zahl an Rumänen, deren Zielland eigentlich Italien ist, und an Kroaten. „Für uns zählt der Mensch, für uns gibt es eigentlich keine Ausländer“, erklärt Caritasvorstand Konrad Niederländer die soziale Sicht. Die Caritas setze sich für alle Menschen ein, die besonderen Schutz und Unterstützung benötigen, dazu gehörten jene, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Manche von ihnen müssen unmittelbar nach ihrer Ankunft unterstützt werden, aber sie benötigen auch mittel- und langfristig Begleitung, die ihnen Perspektiven eröffnet. „Wir sind unabhängig von Religion, Herkunft, Geschlecht oder Alter für die Menschen da, die in unsere Stadt und Heimat kommen
oder hier leben“, betont der Diakon. Diesen Menschen zu helfen und ihre Interessen zu vertreten, bedeute Arbeit an einer friedlichen und offenen Gesellschaft. Konkret zählt der Caritasdirektor die verschiedenen Beratungsstellen auf, die Betreuungseinrichtungen, aber auch die Arbeitsplätze für Personen mit Migrationshintergrund gerade in Pflege und Erziehung: „So kann das Miteinander der Menschen gelingen.“

Ist Passau eine offene Stadt?

Dafür nennt Fritz Audebert reihenweise Belege: die vielen Partnerschaftsvereine, wie sie in dieser Zahl nur wenige Städte haben. Wie sehr die Uni integriert. Die studentischen und kirchlichen Initiativen. Dass es in Passau kein Ausländer- Viertel gibt und sich die große Asylbewerber-Unterkunft an der Neuen Rieser Straße mitten in der Stadt befindet.
Ein tolerantes Ausländeramt und ein offener OB. Willkommenskultur in den Unternehmen, voran als größtes ZF. Eine hohe Quote ausländischer Mitarbeiter in der dafür niederschwelligen Gastronomie. Ein hoher Anteil auch unter den Beschäftigten des Klinikums, wobei sich beim Ausbau zur Unikinik neben der digitalen auch und große interkulturelle Chance auftun werde. Und natürlich die legendäre Passauer Begrüßungskultur im Flüchtlingsdrama 2015. Dennoch sagt der Experte für interkulturelle Themen: „Einen Masterplan, eine Definition, was in dem Begriff Europastadt Passau denn drin ist, gibt es nicht. Eigentlich ist da nichts drin.“ Audebert beschreibt das so: „Willkommen in Passau, das heißt ja, gern – aber bitte nicht zu weit. Ein bisschen nach dem Motto: willkommen im Fremdenzimmer.“ Da könnte, wenn es wirtschaftlich einmal schlechter gehen sollte, beim Thema Ausländer doch ganz plötzlich Explosionsgefahr in der Luft liegen.
Beim Abschluss einer Ausbildung stellen sich für Asylbewerber Hürden, die ein gebürtiger Deutscher kaum merkt. Etwa wenn er imTest Signalwörter nicht als solche wahrnimmt, weil sie ihm nichts sagen. Oder Sozialkundliches zur Rolle des Bundespräsidenten gefragt wird, das einem fremd ist, der in einem völlig anderen System aufgewachsen ist. „Da fehlt es mir dann doch an der Integration“, sagt Fritz Audebert. Der interkulturelle Unternehmer illustriert seine Gedanken mit einer bezeichnenden Schilderung dessen, was sein indischer Mitarbeiter Gurdatar Singh Bal erlebte, der seit zwanzig Jahren in Deutschland lebt und Vorstände großer Unternehmen zu Indien berät: Den fragte in Passau ein Mann auf der Straße, was das denn soll, dass er verkleidet herumläuft. Gurdatar Singh Bal hatte aber eine gute Antwort parat – er sei von der Stadt Passau beauftragt, etwas mehr Farbe in die Stadt zu bringen.
Fragt man heutzutage denn noch, ob einer Ausländer ist? „Das sehe ich kritisch“, sagt Fritz Audebert. In jedem Fall müsse tiefer gefragt werden. Auf die Auskunft „ich komme aus Afghanistan“ sollte nicht kommentarloses Schweigen die Antwort sein, sondern weitere Fragen folgen etwa nach der Gegend und der Stadt und den Eigenheiten dort. Auch das vermeintliche Kompliment „du sprichst aber gut Deutsch“ ist zweischneidig. „Das braucht man dem nicht zu sagen, der gut Deutsch spricht, weil der will weiterkommen und Teil der Gesellschaft sein wie jeder andere.“
Unter den 13 000 Passauer Studenten sind EU-Staaten und andere Nationalitäten zusammengezählt zehn Prozent Ausländer. In absoluten Zahlen hat die Uni hier über die Jahre zugelegt, prozentual aber nicht. Viele Universitäten andernorts haben einen höheren Anteil an ausländischen Studenten. In Passau ist nicht etwa die philosophische Fakultät mit ihren sprachlichen Ausrichtungen, sondern vielmehr Informatik stark „ausländisch belegt“. 

Allein über 150 Inder studieren in Passau Informatik. „Da wurde ein guter Job gemacht, die Informatik hat viele attraktive Programme entwickelt“, weiß Fritz Audebert. Von den bereits vielen auf Englisch angebotenen Studiengängen an der Uni würde er sich noch mehr wünschen. Seinem eigenen Studiengang Kulturwirtschaft empfiehlt er eine Prüfung, ob die Kulturräume von einst noch die richtigen sind – neues Potenzial misst der Kuwi-Netzwerker dem chinesischen Kulturraum zu. Dem früheren Problem, dass ausländische Studenten in Passau schwer eine Wohnung fanden, half der Neuburger Gesprächskreis mit einer Ausfallbürgerschaft ab. Auch weil die Uni mitten in der Stadt liegt, sind ausländische Studenten in Passau gut integriert.

Thomas Seider
PNP, Samstag 1. August 2020