Wussten Sie, dass ...

Teil 1: Die Rolle der Eltern bei Partnerwahl und -suche

Menschen aller Kulturen haben das Bedürfnis nach Zweisamkeit und Sicherheit. So suchen sie während eines bestimmten Lebensabschnitts mit unterschiedlichen Strategien nach dem Partner fürs Leben – oder manchmal auch nur nach einer kurzen Romanze. Worauf es den Suchenden (und deren Eltern) bei der Partnerwahl ankommt und wie dabei vorgegangen wird, kann von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich sein. 

In China lassen sich viele, aus westlicher Sicht ungewöhnliche Phänomene und Unterschiede bei der Partnersuche beobachten. Insbesondere bei jungen, in großen Städten lebenden Chinesen mit guter Bildung und internationaler Ausrichtung erfolgt jedoch zunehmend eine Anpassung an westliche Ansichten und Verhaltensweisen.

In China konzentriert sich die Partnersuche in der Regel maßgeblich auf das Zeitfenster zwischen 20 und 25 Jahren, wobei sich dieser Zeitrahmen besonders in den Großstädten zunehmend auch bis zum Alter von 30 Jahren ausweitet. Bevor die jungen Erwachsenen das 20. Lebensjahr erreichen, lassen ihnen die Eltern meist nur wenig Spielraum, erste Erfahrungen zu sammeln und sich im Rahmen einer Jugendliebe auszuprobieren; die Gründe für diese Haltung liegen vor allem darin, die Schulausbildung nicht zu gefährden, ganz zu schweigen von den in China deutlich dramatischeren Folgen einer ungewollten Schwangerschaft im Vergleich zu den meisten westlichen Ländern. 

Wenn es dann mit der durch die Eltern erlaubten Partnersuche im Alter von ca. 19 oder 20 Jahren losgeht, wird allerdings vielfach von den Eltern erwartet, dass man innerhalb von 5 bis maximal 10 Jahren den Partner fürs Leben findet und seine Schäfchen möglichst schnell ins Trockene bringt, also nicht erst lange unverheiratet zusammen ist, um sich seiner Sache sicher zu sein, bevor man heiratet. Das gilt als Zeitverschwendung und als viel zu unsicher.

Wenn die Tochter oder der Sohn es nicht innerhalb dieses Zeitfensters schafft, einen Partner fürs Leben zu finden, kann der Druck seitens der Eltern erheblich ansteigen und nicht selten wird die Partnersuche dann auch direkt von den Eltern in die Hand genommen. Auch schon vorher zeigen die Eltern womöglich eigenes Engagement bei der Suche. Der moralische Druck, den die Eltern aus Hilflosigkeit insbesondere auf ihre Töchter ausüben, kann enorm sein. Regelmäßige Vorwürfe, eine schlechte Tochter zu sein, weil man immer noch nicht verheiratet sei, sind nicht selten. In Extremfällen werden sogar Drohungen ausgesprochen, sich umzubringen, wenn die Tochter bis zum Alter von 30 Jahren nicht unter der Haube ist. Viele Eltern in China betrachten es als ihre Lebensaufgabe, die Kinder zu verheiraten. Sie haben große Sorge, als Eltern versagt zu haben, wenn das Kind keinen Partner findet und unverheiratet bleibt. Das bedeutet in der chinesischen Gesellschaft Gesichtsverlust. 

Eine Form der „Partner-Such-Unterstützung“ durch die Eltern ist beispielsweise das Arrangieren von „Blinddates“ gemeinsam mit ebenfalls suchenden Eltern aus dem eigenen Bekanntenkreis. 

In großen Städten geht es sogar so weit, dass Eltern ihre erwachsenen Kinder auf Steckbriefen in Parks anbieten, in denen sich gleichgesinnte Eltern treffen. Hier werden die Daten der Kinder (Größe, Alter, Bildung, Vermögen, Auto, Wohnung) auf Zettel gedruckt -manchmal mit, manchmal ohne Foto. Die Steckbriefe werden dann auf aufgespannte Regenschirme geklebt und diese auf den Boden gestellt. Manchmal wird auch eine kleine Tischflagge eines anderen Landes daneben gestellt, wenn das erwachsene Kind im Ausland lebt und man dessen Internationalität als zusätzlichen Wert hervorheben möchte. Da nicht alle Eltern Zeit und Lust haben, sich jeden Tag mit dem Steckbrief ihres Kindes in den Park zu stellen, werden auch sogenannte Makler engagiert, die gleich mehrere „heiratsbereite Kinder“ „im Angebot“ haben. Diese Art der Partnersuche durch die Eltern stirbt allerdings in Zeiten des Internets langsam aus. 

Dem Druck der Eltern bzw. den von ihnen organisierten Blinddates kann man sich in China nicht wirklich widersetzen, allenfalls kann man ausweichen oder versuchen, ihn soweit es geht zu ignorieren. Falls man z.B. homosexuell ist, es aber den Eltern nicht sagen kann oder will, kann dieses Arrangieren von Blinddates Jahrzehnte lang so weitergehen – es sei denn, man findet einen homosexuellen Partner des anderen Geschlechts, mit dem man zur Besänftigung der Eltern eine Schein-Ehe führen kann. 

Die meisten heiraten aber auch einfach nur einen heterosexuellen Partner und führen ein Doppelleben. 

Um dem Druck der Eltern zu entkommen, flüchten viele in eine andere Stadt, aber bei jedem Besuch bei den Eltern oder von den Eltern bzw. während der wöchentlichen Telefonate besteht immer die Gefahr, dass das Thema auf den Tisch kommt. Aus westlicher Sicht fragt man sich, warum die Kinder den Eltern nicht irgendwann einmal sagen, dass sie aufhören sollen, sich in ihr Leben einzumischen und sie mit diesem Thema gefälligst in Ruhe lassen sollen. Doch in China gibt es in der Regel keine ernsthafte Alternative zum Gehorsam und Respekt gegenüber den Eltern, auch nicht im Erwachsenenalter. Tendenziell wird die junge Generation hier zwar deutlich rebellischer, aber den Kontakt zu den Eltern abzubrechen oder auch nur zu unterbrechen ist ein Tabu. Denn dies würde bedeuten, dass man Gefahr läuft, das Vertrauen aller Freunde und Kollegen zu verlieren. Wer die Eltern nicht ausreichend achtet, verliert in China meist jeglichen Respekt.

Die Panik der Eltern, dass ihre Kinder auf dem Heiratsmarkt leer ausgehen könnten, ist nicht unbegründet. Die Brutalität, mit der in der chinesischen Gesellschaft die „Heiratsuhr“, insbesondere für die Frauen tickt, ist enorm. So wird es für Frauen ab 25 Jahren auf dem Heiratsmarkt schon deutlich enger, und ab 30 Jahren ist es ein sehr schwieriges Unterfangen, noch einen guten Mann zu finden. Mit 35 Jahren sind die Eltern meist komplett verzweifelt, und ab 40 Jahren haben sie in der Regel jegliche Hoffnung verloren. Es gibt ein chinesisches Sprichwort, das besagt, dass es auf Frauen ab 25 Jahren einen Rabatt gibt und dieser Rabatt mit jedem zusätzlichen Lebensjahr um 10% steigt.

Was bei den Töchtern das Alter ist, ist bei den Söhnen der Druck, eine eigene Wohnung zu haben. Dies ist für die ganze Familie ein finanzieller Kraftakt, denn wer seinem Sohn keine eigene Wohnung bieten kann, hat auf dem Heiratsmarkt schlechte Karten. Als Mann allerdings zu warten, bis man selbst genug verdient hat, um sich eine eigene Wohnung leisten zu können, ist zwar eine mögliche, aber nicht so ideale und auch riskante Strategie. Denn ein allzu großer Altersunterschied zwischen Mann und Frau ist ebenfalls nicht wünschenswert, und die Angst, dass es dann nur noch Frauen vermeintlich „zweiter, dritter, vierter Wahl“ gibt, wächst. Ein Altersunterschied zwischen Mann und Frau von ein bis zwei Jahren ist gern gesehen. Mehr als fünf Jahre Unterschied sollten es jedoch nicht sein, um das Getuschel im Bekannten- und Verwandtenkreis zu vermeiden. 

Hinzu kommt, dass es insgesamt deutlich mehr Männer als Frauen gibt. Dieses Problem ist insbesondere auf dem Land ein großes Thema. In den sogenannten Tier 1 Städten wie Beijing, Shanghai und Guangzhou besteht allerdings interessanterweise ein leichter Frauenüberschuss. 

Da sich viele Frauen durch eine Heirat statusmäßig verbessern möchten und viele chinesische Männer ungern eine Frau heiraten, die ihnen bildungsmäßig überlegen ist, verkleinert dies die Auswahl, und es entsteht ein veritabler Wettbewerb. 

Da die Wohnungspreise in den meisten großen Städten Chinas explosionsartig ansteigen, müssen sich viele Familien hoch verschulden, damit der Sohn auch eine Chance hat, eine Frau (und vor allem deren Eltern) von sich zu überzeugen. Zwei Söhne zu verheiraten bedeutet in der Regel den totalen Bankrott für die Familie, weshalb inzwischen auch nach Aufhebung der Einkind-Politik in China viele Eltern eines Sohnes es nicht mehr wagen, ein zweites Kind zu bekommen. 

Gleichzeitig gibt es aber auch noch Eltern, die zwar viel Geld haben, aber deren Tochter noch unverheiratet ist. Diese wird dann manchmal ganz offen und ohne finanzielle Bedingungen einem potentiellen Ehemann (und dessen Familie) angeboten.

Ein weiterer Unterschied bei der Partnersuche zwischen Ost und West ist, dass sogar manchmal die Chefs, insbesondere in den staatseigenen Betrieben, dabei mithelfen, für ihre ledigen MitarbeiterInnen eine(n) passende(n) PartnerIn zu finden. Die Chefs, die sich darum kümmern, gelten als besonders fürsorglich, da sie auf diese Weise ein echtes Interesse am Wohl ihrer Mitarbeiter beweisen. Im westlichen Teil der Welt würde dies wohl eher als grenzüberschreitende Einmischung in Privatangelegenheiten angesehen werden.

Im nächsten Newsletter erfahren Sie mit welchen Suchstrategien junge Chinesen auf Partnersuche gehen und welche Prioritäten Sie bei der Partnerwahl setzen.

Autor: Tilman Rieger